»Ich kann ohne Theater überhaupt nicht ich selber sein. Das ist ein einziger Befreiungsakt.«
Bühnen- und TV-Star Philipp Hochmair hat mit »Jedermann reloaded« im Wohnziegel gastiert
»Tatort«. »Charité«. Und kürzlich mit »Jedermann Reloaded« in der St. PauliRuine. Logisch. Einer, der in seiner Arbeit so gern mit Leben und Tod verhandelt, muss ja irgendwann in den Wohnziegel kommen. Und dann auch noch mit »Jedermann« (Hugo von Hofmannsthal), der Allegorie vom Leben und Sterben des reichen Mannes, der nichts in die Grabeskühle mitnehmen kann. Dem vom Tod eine knappe Frist gewährt wird, um noch einmal so richtig zu bereuen und doch noch irgendwie zum Glauben zu finden. »Jedermann reloaded« ist keine biedermeierliche Inszenierung mit gesteiften Kragen und rollenden Bassstimmen. Kein trockenes Establishment-Theater, hust hust.
Philipp Hochmairs »Jedermann« ist zutiefst ungebärdig, ungezügelt, überall, gespalten, getrieben. Zutiefst jetzt. Er will Herzen und Geister unter Strom setzen. Anzünden. Leuchten lassen. Perfekt für unsere St. PauliRuine.
Da herrscht Gluthitze unterm Glasdach, wenn dieser zigarreschmauchende Zyniker im Guerillero-Flecktarn brandauert, dass es scheppert. Ein Kaleidoskop, wenn die Electrohand Gottes fette Bässe wummern lässt, Radspeichen mit dem Geigenbogen bearbeitet oder auf dem Theremin das Jenseits herbeisäuselt.
Hinterher sitzt Philipp mit uns hemdsärmlig und rechtschaffen erledigt auf einem Mäuerchen und ist auch hier – ganz Mensch. Gottseidank.
PauliRuine: Hallo Philipp. Erzähl: Wie fühlt sich der Wohnziegel an?
Ich find’s extrem geil hier! Wie Stephansdom in klein. Passt perfekt. Der ideale Ort. Ich würde jetzt gern ein paar Vorstellungen spielen, dass man den Sound noch ein bisschen besser hinkriegt.
PauliRuine: Wo findest Du Jedermann in Dir selbst?
Da gibt es viele Berührungspunkte. Sich mit seiner eigenen Endlichkeit zu beschäftigen ist doch eine sinnvolle Sache, dachte ich mir. Das läuft ja in Salzburg schon seit hundert Jahren, dort ist es ein Kulturprestige-Stück und ich wollte das immer so ein bisschen moderner haben und einer anderen Generation näherbringen. Deiner zum Beispiel (zwinkert).
In einer zeitgenössischen Form.
PauliRuine: Okay.
Weil ich das so schade fand, dass es in so einer bürgerlichen Art für viel Geld als Spektakel aufgeführt wird und man eigentlich nicht recht versteht, was da wirklich passiert. Ich hab nie verstanden, worum es geht. Ich wollte die innere Energie freisetzen.
PauliRuine: Ich habe mich zwischendrin wirklich geärgert. Dass ich herumlaufen musste. Das ist quasi die Entscheidung, jage ich jetzt nach einem richtig guten Moment für ein Bild oder setzte ich mich hin, und lasse es auf mich wirken. Gerade auch, weil Deine Adaption die Stufe höher ist.
Ich hab ja versucht, eine Form zu finden, wo man sich denkt, ‚Was soll das denn?’ und auf einmal greift einen das und holt einen ab, weißt du? Mit diesen Kräften arbeite ich ganz gern. Ich hab ja mehrere Monodramen, mit denen ich rumtoure, da darf man ruhig eine Viertelstunde lang denken: ‚Was passiert hier? Was hat das mit ‚Jedermann’ zu tun?’ Dann gibt’s aber so einen Punkt, wo sie zuschnappt, die Falle. Und das ist mir bei den konventionellen Aufführungen am Domplatz nie wiederfahren.
Das ist der Punkt. Ich stelle das anfangs immer gern infrage und spiele mit dem Zweifel. Und dann wird’s ernst und unentrinnbar.
PauliRuine: Das Stück als solches. Denjenigen, der es geschrieben hat. Das Zeitgeschehen.
Philipp: Alles.
PauliRuine: Es gibt ja dann wahrscheinlich für jeden Menschen, wie er da sitzt, so einen Moment, wo er spürt: Ok, das bin ich, das triggert mich. Es macht was mit mir.
Wenn sich das einstellt, ist das natürlich ein Traum. Denn nur darum geht es für mich. Und ich hab ja so einen Ruf, dass ich so ‚wild’ bin und so ‚crazy’… Vielleicht, weil ich mir rausnehme, ‚Jedermann’ und ‚Rockkonzert’ oder ‚Schillerballaden’ und ‚Rave’ in einen Topf zu werfen. Es ist natürlich immer ein Risiko!
Aber wenn es klappt, wie heute in der PauliRuine; wo sich der Ort, der Text, die Musik und das Schauspiel so ganz neu vereinen, dann ereignet sich da mein Traum vom modernen Theater!
Ich kenne Leute, die da plötzlich voll reingekippt sind und am Anfang dachten, das ist ja ‚nur verrückt’. Das finde ich aber ganz geil. Dieser neuen Welt kann sich der Zuschauer gar nicht mehr entziehen.
PauliRuine: Dass der Zuschauer vergisst, dass es nur Theater ist.
Genau! Das man ein Band zieht und es speziell wird. Und dass man denkt: ‚Okay, das ist stärker als Film, stärker als Fernsehen und ein Unikat.’
PauliRuine: Was siehst Du denn, wenn Du den Leuten ins Gesicht guckst?
Verstörung ist gut. Das ist ja auch eine Motivation für mich, wenn die Zuschauer anfangs vielleicht sogar etwas genervt sind und nicht wissen, ob sie sich in der Tür geirrt haben.
Kurzes Schweigen.
PauliRuine: Ich für meinen Teil hatte bei Deinem »Jedermann« einen Moment lang ein diffuses Reuegefühl.
Philipp: Echt?
PauliRuine: Ich denke, der moderne Mensch bereut unfassbar viel, kommt aber gar nicht dazu, das zu spüren.
Philipp: Stimmt.
PauliRuine: Darf ich fragen: Was bereust Du?
Philipp: Ich bereue, dass ich die Schule fertig gemacht hab. Dass ich zu lange brav war. Ich bereue, dass ich zu viel gemacht habe, was man von mir wollte. Ja. Das bereu ich wirklich. Zu oft Angst hatte vor irgendwelchen Leuten, vor denen man keine Angst haben muss. Weil ich noch nicht selbstbewusst war. Das hat lange gedauert.
Drum mache ich wahrscheinlich Theater, weil man dann dieser Realität auf den Kopf gucken kann. Es wird so viel Drama gemacht und das ist aber in Wahrheit einfach nur lächerlich, weil die Distanz fehlt …
PauliRuine: (kichert) stimmt!
Philipp: Immer diese Aufregung! Und da macht’s Spaß, die Aufregung künstlich herzustellen und sich drüber lustig zu machen.
Was für ein Drama, weil man irgendeinen Zettel nicht hat auf irgendeinem Amt, was für ein Drama, weil man zu spät zur Schule kommt, was man dauernd alles falsch macht. Das geht mir auf die Nerven. Aber hier in der St. PauliRuine kannst du Zigarre rauchen, Plastikgold werfen, kannst schreien, heulen und sterben. Das sprengt Wände.
PauliRuine: Ich sag, ich geh ins Theater, um ich selbst zu sein.
Philipp: Genau. Ich kann ohne Theater überhaupt nicht ich selber sein. Das ist ein einziger Befreiungsakt. Ich hab viel Film gemacht die letzten Jahre, jetzt habe ich aber auch gemerkt, wie mir das fehlt. Wie mich das reinigt, wie mich das wieder zu mir selber bringt. Aber es hat einen extremen Suchtfaktor. Ich fahre morgen um sechs nach Österreich, hab Doppelvorstellung mit einem Kafka-Monolog, wo es auch wieder nur um Befreiung geht.
(Anmerkung: es ist nach 22 Uhr)
Ich kann das Spielen nicht lassen. Ich will nur leere Räume bewohnen, wo Platz ist, wieder was zu erfinden.
PauliRuine: So lange man spielt ist man bei sich und am Leben.
Philipp: So sehe ich das auch.
PauliRuine: Danke sehr, lieber Philipp, für’s Gespräch!
Philipp: Gerne.